Erzähl mir eine Geschichte!
Diesen Satz hat wohl jeder mal gehört, wenn er zu den glücklichen Menschen gehört, die Kinder in ihrem Umfeld haben.
Lasst uns daher gemeinsam das Tor zu einer magisch belebten Welt öffnen, die für unsere Jüngsten völlig normal ist und von der wir Erwachsene zu gerne träumen.
Heinar war ein Gespenst.
Kein kettenrasselnder Dummkopf, der die ganze Nacht hindurch stöhnte, sondern eine fröhliche Lichtgestalt. Wenn er schon spuken musste, dann wollte er auch Spass dabei haben.
Was er jedoch unter Spass verstand, bedeutete für Menschenkinder nicht unbedingt dasselbe. Heinar liebte es, abendliche Wanderer mit flackernden Lichtern vom Weg abzubringen. Er lief dann zur
Höchstform auf.
Mit einem hellen Blitz tauchte er sekundenschnell vor dem Gesicht des Menschen auf und zeigte sein bevorzugtes Totenkopfgrinsen. Dazu riss er die Augen weit auf, verzog die Mundhöhle zu einem tiefen
Loch und ließ die Zunge heraushängen – schrecklich schön, oder?
Sein Panikbarometer zeigte stets die volle Punktzahl und er musste noch nie seine Geisterlizens an Halloween verlängern.
Doch die Ewigkeit dauert recht lange und irgendwann wird das schönste Spiel langweilig.
»Wieso habe ich keine Lust mehr zu spuken«, gähnte Heinar und blickte trübsinnig auf sein Barometer. Der Zeiger stand dieses Jahr genau in der Mitte. Er pendelte zwischen dem dunklen Bereich und dem
silbernen Ende hin und her.
Heinar gähnte nochmals ausgiebig, bevor er sich auf den Weg zum Rat machte. Er brauchte dringend Abwechselung! Vielleicht sollte er Urlaub einreichen?
»Urlaub?«, fragte die Vorsitzende des Rates entgeistert und blickte Heinar mit funkelnden Augen an. Kein Wunder, sie war ja auch ein Feuerkobold und hatte den Richtertisch schon verdächtig
angekokelt.
»Kommt nicht in Frage! – Dem Antrag kann frühestens in fünfhundert Jahren stattgegeben werden.«
Heinars Enttäuschung machte sich in einer hellen Blitzentladung Luft. »Aber ich bin so müde!«
»Auf Schloss Eisenhart ist eine Stelle als Schutzgeist freigeworden. Die Besucher des Ortes werden von einer Dunkelelfe gequält.« Die Koboldin kratzte nachdenklich Brandflecken von der Tischkante.
»Das ist das einzige, was ich dir anbieten kann!«
»Ich bin doch kein Schutzgeist! Ich sammel Horrorpunkte und keine Silbersternchen!«, maulte Heinar.
»Ja oder Nein?« Die Koboldin stand kurz davor Feuer zu fangen.
Heinar schnaufte, doch dann nickte er.
Bereits in der nächsten Nacht durchstreifte er sein neues Zuhause. Schloss Eisenhart lag im Wald und war eine Ruine. Lediglich die Reste einer Ringmauer und eine unterirdische Kammer boten Schutz
vor Wind und Wetter. Wobei Geister keinen Schutz brauchen, da sie weder Hitze noch Kälte fühlen können.
Am Abend wurde Heinar von Musik geweckt. Es war kein dröhnender, hämmernder Rhythmus, den die Menschen so liebten, Diese Melodie war so zart wie das Plätschern eines Baches. Heinar folgte der Stimme,
die so wundervolle Töne von sich gab.
Er schwebte durch das Unterholz bis er sie sah – ein Mädchen!
Sie saß auf einer Lichtung und kämmte sich die langen Locken. Die Gänseblümchen zu ihren Füßen schienen zu leuchten, oder war das der Schimmer des Mondes?
Wie gebannt, blickte Heinar auf das zauberhafte Wesen. Er wollte sie nicht erschrecken und versteckte sich hinter einem dicken Baum.
Schon bald tauchte am Waldrand ein pickeliger Teenager auf. Das Mädchen winkte dem Jungen zu, und mit einem albernen Grinsen kam er näher.
Heinar stöhnte innerlich. Offensichtlich beobachtete er hier zwei Jugendliche, die sich heimlich trafen, um Händchen zu halten. Noch vor ein paar Tagen hätte er die Gelegenheit genutzt, um die beiden
mit Totenkopfgrinsen zurück zum nahen Campingplatz zu jagen..
Er stöhnte noch einmal, als das zarte Geschöpf sich zu dem Jungen hinabbeugte ... igitt, sie wollte ihn sicher küssen!
»Ahhhhh!«
Heinar zuckte vor Schreck zusammen, doch der Schrei kam von dem Jungen!
Die zarten Elfenzüge des Mädchens glichen plötzlich eher Heinars eigenem Totenschädel und sie zeigten ein teuflisches Grinsen. Ihre Hände hatten sich in Krallen verwandelt, die nach dem flüchtenden
Jungen griffen. – Das war also die Dunkelelfe!
Heinar sprühte Lichtblitze und zeigt seine schlimmste Grimasse, um sie zu verjagen. Mit lautem »Buh!« trat er hinter dem Baum hervor.
Leider lief gerade der Junge direkt auf ihn zu. Mit einem gequälten »Äh«, versuchte er seinen Lauf zu stoppen. Er grub seine Hacken in den Waldboden, doch es war zu spät. Kopfüber stürzte er durch
Heinars Geistergrimasse hindurch in einen Laubhaufen.
»Es gibt keine Geister!« flüsterte er unter den Blättern hervor.
Die Dunkelelfe verzog ihr Gesicht und ... lachte schallend. Sie war offensichlich nicht so schnell zu erschrecken.
Also versuchte Heinar sein Overkillgrinsen mit Zahnlücke und rot-glühender Zunge.
»Buh!«
Die Dunkelfee legte ihren Kopf schief und kicherte vergnügt: »Ach, bist du süß!« Sie tippte zart auf seine Zahnlücke. »Gehst du schon auf die Geisterschule, mein Kleiner?«
KLEINER ??? – Niemand bezeichnete Heinar als klein!
Er machte sich doppelt so groß, wie die Bäume ringsum und glühte wie ein zweiter Mond auf sie herab. Dumm nur, dass sein Körper dabei durchscheinend wurde.
»Es gibt keine Geister«, wiederholte der Junge am Boden und wühlte sich noch tiefer in das Laub.
»Hör auf«, tadelte die Dunkelfee Heinar. »Der Junge macht sich gleich vor Angst in die Hose!«
»Die tragen doch alle Pampers!«, murrte Heinar.
»In dem Alter nicht mehr!«, korrigierte die Elfe und schüttelte den Kopf, wobei ihre Haare wie Goldstaub um ihr Gesicht wirbelten.
»Du hast ihn erschreckt und nicht ich!«, erklärte Heinar.
»Aber du jagst ihm noch mehr Panik ein!«
»Unsinn«, Heinar schrumpfte wieder auf Normalgröße und materialisierte sich. So konnte er den Jungen am Boden anstoßen. »He, Kumpel! Sag mal, hast du etwa Angst vor mir? Oder doch eher vor
ihr?«
Das Kleiderbündel unter dem Laub regte sich und ein verschmiertes Gesicht tauchte auf. Die Augen richteten sich erst auf Heinar, dann auf die Dunkelelfe. Der Junge nahm seinen ganzen Mut zusammen ...
und rannte schreiend davon.
»Bitte«, triumphierte Heinar. »Du bist hier die Übeltäterin – und ich werde dich in Zukunft davon abhalten!«
»Du bist der neue Geist vom Schloss?«, fragte sie überrascht.
»Allerdings!«, sagte Heinar stolz.
»Das ist ein Witz«, kicherte sie.
»Nein!«
»Doch!«
»Nein!«
»Du benimmst dich wie ein kleines Kind!«
»Und du hast eine schöne Stimme!«
Die Dunkelelfe sah irritiert auf und lachte dann laut. Heinar fiel in das Lachen ein. Die Dunkelelfe gefiel ihm. Die nächste Zeit der Ewigkeit würde sicher viel Spass machen.
»Ich bin Aura«, sagte die Elfe und streckte ihm die Hand hin.
»Und ich bin Heinar!« Vorsichtig ergriff er ihre Finger um diese nicht zu quetschen.
»Also, Heinar! Laut Arbeitsverteilung bin ich hier für das Erschrecken zuständig und du sollst mich davon abhalten!«
»Ich freue mich darauf«, sagte Heinar und grinste.
»Ich auch! Das werden lustige Nächte!«
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