Heute geht es um einen tapferen Hahn, der seine Hühner vor einem unbekannten Gegner beschützt. Aus der Sicht unseres tierischen Helden erzählt, bekommt die Geschichte einen ganz anderen Sinn, als man als Mensch vermutet.
Etwas hatte ihn geweckt!
War es eine der kleinen Mäuse gewesen, die unter dem Holzboden lebten? Gogollo und seine sieben Damen teilten sich das Hühnerfutter ohne viel Gegacker mit den neuen Nachbarn. Nur wenn eine Maus zu
aufdringlich wurde, wies er sie mit einem Schnabelhieb zurecht.
Gogollo blinzelte und schaute auf den Boden unter sich. - Nein, da war alles ruhig!
Da stibitzte kein graues Fellknäuel die begehrten Maiskörner.
Ein sanftes Glucksen ertönte neben Gogollo und sofort entspannte er sich. Fräulein Hin, seine Freundin, saß direkt neben ihm auf der Hühnerstange. Sie hatte ihr weißes Köpfchen unter einem Flügel
verborgen und gab diese beruhigenden Töne von sich.
Wahrscheinlich hatte sie Recht, und er übertrieb mit seiner Wachsamkeit. Andererseits war er für die Sicherheit seiner Hennen zuständig, wenn sie schliefen! Zu leicht konnte sich ein Fuchs unter dem
Stallboden hindurch graben oder der Marder ein kleines Loch in der Mauer als Durchschlupf nutzen! Seit er hier auf dem Bauernhof lebte, hatte kein Huhn auch nur eine Feder an diese Räuber
verloren.
Tante Frieda, der Zweibeiner mit der Futterschüssel, hatte ihn deshalb bereits gelobt. "Gogollo, du bist der beste Hahn, den wir bisher gehabt haben. Seit du der Chef des Hofes bist, brauchen wir
keine Türklingel mehr. Du meldest jeden Besucher an!"
Gogollo wusste nicht, was eine Türklingel war, aber fremde Besucher hatten auf dem Bauernhof nichts zu suchen. Das machte er mit imposanten Krähen deutlich und diese Drohung verstand
jeder.
Der Mann auf dem gelben Fahrrad zum Beispiel, blieb nie länger, als bis er Tante Frieda die täglichen Papierfetzen, sogenannte Briefe, in die Hand gedrückt hatte. Dann räumte er sofort Gogollos
Revier. Auf diesen Erfolg war er sehr stolz!
Der Hahn blickte zu dem kleinen Fenster auf der gegenüber liegenden Stallseite. Spinnweben und die blinde Fensterscheibe gaben ihm kaum Gelegenheit etwas von draußen zu erkennen.
Die Scheibe war schon alt und an den Seiten bröckelte der Fensterkitt heraus. Madame Cloe und ihre beiden Töchter, die schon Eier legten, bekamen deshalb regelmäßig nasse Füße. Wenn es regnete drang
die Feuchtigkeit durch die Fugen. Doch auf der Sitzstange war nicht genug Platz für alle Hühner. Entsprechend der Hackordnung mussten sie sich mit dem Mauervorsprung am Fenster zufrieden geben.
Ihre Umrisse hoben sich kaum vom Hintergrund ab, doch mit der beginnenden Morgenröte schimmerten die schwarzen Federn wie taufrisches Gras.
Gogollo reckte den Hals und spannte seine Muskeln an. Es war an der Zeit, den neuen Tag zu begrüßen und seine Langschläfer zu wecken. Der Hahnenschrei stieg in seiner Kehle auf. Kikiiiiii ...!
Rumms!
Etwas schlug mit Gewalt gegen die Fensterwand!
Aus dem Morgengruß wurde ein Alarmsignal! Kikirikäääh!
Aufgeregt flog Gogollo von der Stange und riss dabei Fräulein Hin gleich mit hinunter. Draußen vor dem Stall war etwas Großes, Gefahrvolles!
Er hatte sich doch nicht geirrt!!!
Sofort krähte er noch einmal.
Empört plusterte Fräulein Hin ihre Federn auf und schüttelte sich verschlafen.
"Was soll das denn?"
"Gefahr!" , krähte Gogollo aus vollem Hals.
"Was soll das schon für eine Gefahr sein!", murrte Madame Cloe und bequemte sich, ihren Kopf zu heben. Ihre Töchter schliefen einfach weiter. "Wir sind alle im sicheren Stall!" Sie wollte gerade
ihren Schnabel wieder in den Federn vergraben, als ein weiterer Schlag gegen die Wand Mörtel und Staub auf sie herabfallen ließ.
"Hinter ihnen, Madame!", rief Gogollo flügelschlagend.
Doch es war schon zu spät. Ein weiteres Mal wurde die Wand getroffen und der Stein auf dem Madame Cloe saß, fiel mit lautem Gepolter zu Boden. Die Henne konnte gerade noch ihr Gleichgewicht halten
und flog unsanft hinunter.
Ihre beiden Töchter, die sich im Schlaf an sie gelehnt hatten, purzelten unbeholfen hinterher. Sie hatten keine Zeit mehr ihre Flügel auszubreiten. Laut gackernd schrien sie ihren Protest
heraus.
Natürlich mussten die anderen Hennen sofort in das Gegacker einfallen, auch wenn sie im Halbschlaf nicht wussten, was eigentlich los war.
"Ein Fuchs! ", vermutete ein weißes Huhn.
Das war das Signal in gemeinsame Panik zu verfallen.
"Hilfe, ein Fuchs!"
"Ein Marder! Hilfe!"
In den durchdringenden Lärm krähte Gogollo ein energisches : "Ruhe!" Sofort verstummten sie und überließen dem Chef die Kontrolle.
"Kein Fuchs hat die Kraft unseren Stall einzureißen!", erklärte er.
"Einreißen!", kreischte Fräulein Hin entsetzt. "Man reißt unseren Stall ein?"
"Unsere Federn werden ausgerissen! - Ach du liebe Güte", gackerte Madame Cloe. Sie hatte mal wieder alles falsch verstanden.
"Hilfe, Hilfe", kreischten ihre Töchter, und die ganze Hühnerschar stimmte in das Chaos ein.
"Ruhe!", donnerte Gogollo erneut. Alle Hennen fliegen sofort auf die hintere Stange hoch!
"Aber da ist doch nicht Platz genug für uns alle!", gackerte Madame Cloe ängstlich.
"Ich bleibe hier unten, hinter dir", erklärte Fräulein Hin tapfer und stellte ihre Federn am Hals hoch. Sie konnte ganz schön rauflustig sein.
"Nein", entschied Gogollo hastig, da bereits ein zweiter Stein am Fenster herausbrach. "Alle rücken zusammen!"
"Aber das geht doch nicht," protestierte eine Henne, die oben auf der Stange hocken geblieben war und sich jetzt extra breit machte.
"Keine Widerrede", kommandierte Gogollo. "Sofort rauf mit euch und die dicken Suppenhühner drücken ihre Bürzel zusammen!"
"Ich bin nicht dick!", gurgelte es auf der Stange und andere Hennen protestierten ebenfalls wegen der rüden Bemerkung.
Obwohl weitere Steine zu Boden fielen und die Gefahr am Fenster immer deutlicher wurde, schnatterten sie wie dumme Enten durcheinander ohne sich in Sicherheit zu bringen.
Gogollo wusste sich nicht anders zu helfen und pickte in Madame Cloes weichen Hals. "Auf die Stange, Marsch!"
Sofort duckte sich die Henne und flog hinauf. Die anderen Hühner folgten. Aufgeplustert gackerten sie weiter und schimpften darüber, wie sich junge Hähne heutzutage aufführten. Dabei rückten sie aber
wenigstens dicht zusammen.
Sie beachteten die Gefahr nicht, die ihnen drohte, dafür machte sich Gogollo kampfbereit. Sein roter Kamm schwoll an und aufgeregt ruckte er mit dem Kopf vor und zurück. Niemand durfte seine Damen
bedrohen!
Der Feind war undeutlich als Schatten am Fenster zu sehen. Dann schob sich eine riesige Pfote durch die Lücke am Fenster. Keine zarte Tatze eines Marders oder gelenkigen Fuchses. Nein, diese Pranke
war riesengroß! Mit einem Hieb konnte dieser Gegner bestimmt mehrere Federn zugleich ausreißen.
Gogollo zögerte keinen Augenblick. Mit seine Füßen voran, die Sporen gestreckt, flog er in die Luft. Vor Aufregung hatte er jedoch schlecht gezielt und traf nur die Wand. Aber er konnte mit dem
Schnabel kräftig auf diese Pfote einhacken.
Sie war erstaunlich haarlos. Sein Gegner hatte also ein dünnes Fell! Um so besser, damit federte nichts die Wucht seines Angriffs ab.
"Au,verflixte!", brüllte eine fremde menschliche Stimme.
Gogollo ließ sich nicht beirren. Die Pranke zog sich zwar hastig zurück, doch der drohende Schatten blieb vor dem Fenster stehen.
Gogollo nahm seine ganze Kraft zusammen und flog mit vollem Schwung gegen die Scheibe. Er hatte mit einem heftigen Aufprall gerechnet, doch das Fenster war bereits genug gelockert, um aus der Mauer
herauszubrechen.
Die Scheibe zerbrach auf dem Kopf des Schattens und der Rahmen stülpte sich darüber. Dabei klemmte er die Vorderbeine mit denen sich Gogollos Gegner an der Wand abstützte, am Körper fest.
Aus dem bedrohlichen Schatten wurde ein brüllendes Etwas! Der Gegner war zu groß, als dass man auf dessen Hals einhacken konnte, doch Gogollo peilte das rosafarbene fellose Fleisch kurz über den
Hinterfüßen an. Sein Schnabelhieb war kräftig und sehr genau!
Sein Gegner ergriff die Flucht. Seltsamerweise benutzte er nur die Hinterläufe, doch das war Gogollo egal. Er jagte den Feind bis zum Gartenzaun, dann verkündete er mit lautem Krähen seinen Sieg.
Stolz kehrte er zu seinen Hennen zurück.
Noch am selben Tag kam ein Handwerker und setzte eine neue, größere Fensterscheibe im Hühnerstall ein. Der Mensch war wohl ein wenig ungeschickt, denn er hatte Pflaster auf der Hand und im
Gesicht. Am Fußgelenk trug er sogar einen Verband. Vielleicht hatte er auch einen Unfall gehabt, denn er wirkte noch immer ängstlich.
Tante Frieda sagte nur: „Da haben Sie selber Schuld. Wieso haben Sie überhaupt so früh mit der Reparatur angefangen. Ich habe Sie gewarnt. Mein Hahn ist besser als jeder Wachhund!“
Gogollo wusste nicht, was ein Wachhund ist. Doch Tante Frieda war stolz auf ihn. Das hörte er an ihrer Stimme. - Und für seine Hühnerschar war er seit heute sowieso der größte Held aller Zeiten.
© Sabine H.L. Steinhage, Hamburg
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