Erzähl mir eine Geschichte!
Diesen Satz hat wohl jeder mal gehört, wenn er zu den glücklichen Menschen gehört, die Kinder in ihrem Umfeld haben.
Lasst uns daher gemeinsam das Tor zu einer magisch belebten Welt öffnen, die für unsere Jüngsten völlig normal ist und von der wir Erwachsene zu gerne träumen.
Wer versteckt zu Ostern die bunten Eier?
Na klar, der Osterhase, wirst du sagen. Aber ist das wirklich so?
Es ist noch gar nicht lange her, da waren keine Schokoladeneier, sondern bemalte Hühnereier am Ostermorgen im Garten versteckt. Zu der Zeit wusste auch jedes Kind und jeder Erwachsene, wie ein
stattlicher Osterhase aussah:
Die Ohrenlöffel waren mindestens zweimal länger als der Kopf und mit den langen Hinterbeinen konnte er nicht nur schneller laufen als ein Wolf, sondern auch aufrecht springen.
Kein anderes Tier kam auf die Idee, selbst Ostereier zu verstecken. Bis ...
»Mama, warum bringen wir Kaninchen nicht auch bunte Ostereier zu den Menschenkindern?« Tapsi, ein neugieriges Kaninchenjunges, brachte mit dieser Frage die Welt der Osterhasen durcheinander.
Mama Kaninchen verschluckte sich vor Schreck fast am zarten Petersilienstängel.
»Wie bitte?«
Blümchen, Mümmel und Stummel hörten ebenfalls auf zu fressen und starrten ihren Bruder an. Sie gehörten alle zu Mama Kaninchens erstem Wurf im Jahr und waren erst ein paar Wochen alt.
Tapsi richtete sich auf seinen Hinterläufen auf und strich sich nachdenklich über seine weiche Fellschnauze. »Warum verstecken wir nicht auch bunte Ostereier?«, wiederholte er seine Frage.
»Also wirklich, du stellst Fragen!« Mama Kaninchen schüttelte ihre Ohren und mümmelte weiter, als ob nichts geschehen sei. Doch ihr Sohn blieb hartnäckig.
»Mama! Warum denn nun?«
Blümchen kicherte, so dass das weisse Gänseblümchen vor ihrer Nase zitterte. »Tapsi will Osterhase spielen!« Das Gänseblümchen verschwand langsam in ihrem Mäulchen.
Mümmel und Stummel hatten mal wieder nur die Hälfte mitbekommen und hoppelten näher heran. »Spielen, spielen! Lasst uns spielen!«
»Jetzt wird erst gefressen«, entgegnete Mama Kaninchen streng. »Das sind die ersten frischen Gräser im Jahr und besonders gesund!« Sie zeigte ihrem Nachwuchs eine besonders verlockende Stelle im Gras
und rupfte das unscheinbare aber kräftig duftende Kraut dazwischen ab.
»Mama«, quengelte Tapsi ungeduldig. Das Gartenkraut hatte er bereits gestern entdeckt. Jetzt wollte er eine Antwort bekommen.
»Wir sind keine Osterhasen, sondern Kaninchen! Und jetzt friss!«
»Natürlich sind wir Kaninchen, aber wir sehen fast genauso aus, wie die ollen Verwandten!«, entgegnete Tapsi und suchte mit seinen Kulleraugen Unterstützung bei seinen Geschwistern. »Wir haben lange
Ohren und lange Hinterpfoten, weiches Fell und einen kurzen Schwanz.«
»Stummelschwanz«, bekräftigte Stummel und hüpfte einmal um sich selbst, um die weiße Blume an seinem Rückenende hervorzuheben.
»Kinder, eure Hinterläufe und Ohren werden immer deutlich kleiner bleiben, auch wenn ihr erwachsen seid«, erklärte Mama Kaninchen.
»Und wenn schon, die Menschenkinder mögen uns lieber, weil wir so knuddelig sind!«, behauptete Tapsi.
»Stimmt«, überlegte Mümmel. »Ich habe noch nie gesehen, dass ein Menschenkind einen Hasen gestreichelt hat.«
»Du bist erst wenige Wochen alt, Mümmelhase«, mahnte Mama Kaninchen seufzend, wobei sie ohne nachzudenken das Kosewort für ihren Jüngsten benutzte.
Dieser quiekte auch gleich laut auf. »Stummelhase, du hast Hase gesagt!«
Stöhnend legte Mama Kaninchen ihre Pfoten vor das Gesicht. Warum konnten sich ihr Nachwuchs nicht einfach nur über den herrlichen Frühlingsmorgen freuen? Ergeben erklärte sie schließlich:
»Kinder, wir Kaninchen haben einfach noch nie Eier versteckt, weil wir nie auf die Idee gekommen sind, es zu machen!«
»Bis auf Tapsi!« rief Blümchen.
»Bis auf deinen Bruder«, seufzte Mama Kaninchen. Dann rupfte sie ein ganzes Büschel Gras ab und ließ es mümmelnd zwischen ihren kauenden Backen verschwinden. Fressen war für Kaninchen wichtiger als
jedes Gespräch. Ihre Kinder widmeten sich ebenfalls den nächsten Grashalmen.
»Mama?« Das war wieder Tapsis Stimme.
»Was denn?« Mama Kaninchen klang jetzt ärgerlich.
»Verstecken wir dieses Jahr doch ebenfalls bunte Eier. Die Menschenkinder werden sich sicher freuen!«
Tapsis Augen glühten vor Aufregung und Tatendrang.
»Meinetwegen«, sagte Mama Kaninchen, aber nur weil sie dachte, er würde diese verrückte Idee wieder vergessen.
Voller Freude tollte Tapsi mit seinen Geschwistern über das taufrische Gras und spielte mit ihnen »Fang-den-Schwanz«. Die Ostereier gingen ihm aber nicht mehr aus dem Kopf.
Am Tag vor dem Fest rollte er tatsächlich vier Eier vor den Kaninchenbau seiner Familie. Er hatte sie einer befreundeten Henne abgeschwatzt. Kaninchen können sehr überzeugend sein, wenn sie leckere
Kräuter anbieten können, an die ein Haushuhn sonst nie herankommt.
Mama Kaninchen bekam Kopfschmerzen, als sie die Eier sah.
»Tapsi, was willst du mit den Eiern?«, fragte sie.
»Wir werden sie jetzt bemalen und in der Morgendämmerung verstecken.«
»Au, ja!« Blümchen hoppelte aufgeregt um die Eier herum. »Du versteckst die Eier und wir suchen sie!«
»Nein«, Tapsi schlenkerte mit seinen Ohren. »Wie alle werden sie bemalen und für die Kinder im Garten verstecken.«
»Oder auf dem Balkon!«, mümmelte Stummel. Er hatte ein Stadtkaninchen getroffen, welches von grünen Fußballplätzen, Parkanlagen und Gärten auf Hausdächern erzählt hatte.
Blümchen mochte nicht auf Dächer hopsen, sie war lieber auf dem Rasen zu ebener Erde zu Hause. Dort konnte sie Löcher buddeln ohne auf festen Stein zu treffen. »Ich verstecke mein Ei lieber unter
einem Busch«, erklärte sie entschieden.
»Erst müsen wir die Eier bemalen, bevor wir sie verstecken!«, erinnerte Tapsi seine Geschwister. Und bevor Mama Kaninchen ein Grund einfiel, wieso sie das nicht machen sollten, legten sie schon
los.
Blümchen malte mit ihren zierlichen Pfoten grüne Blütenblätter auf ihr Ei, wobei sie den Saft von Petersilienstängel benutzte.
Mümmel und Stummel färbten ihre Eier einheitlich karottenrot, oder besser orangegelb. Aber es war ja auch ihr erster Versuch.
Tapsi hatte sich einen Vorrat an Rote Beete und Apfelbaumblätter angelegt und verzierte sein Ei gekonnt mit rot-gelben Punkten.
Mama Kaninchen sah erst eine Weile zu, was ihre Kinder machten, dann bekam sie ebenfalls Lust mitzumachen. Mit den Vorderpfoten drückte sie Spinatsaft auf ihr Ei bis es ein hübsches Muster
aufwies.
Die Faser- und Pflanzenreste der Malerei landeten zum Abschluss zwischen den Zähnen der Kaninchen, denn nach dieser Arbeit waren sie alle recht hungrig.
»Die Sonne geht schon auf«, mahnte Mama Kaninchen, als der Himmel heller wurde.
Rasch hoppelten alle zum nahen Garten und rollten ihre bemalen Eier vor sich her.
»Das darf nicht wahr sein! Das darf nicht sein!« Ein echter Osterhase hüpfte aufgeregt vor ihnen auf dem Feldweg hin und her. Er war mindestens doppelt so groß, wie die Kaninchen.
»Einen schönen Guten Morgen, Herr Osterhase«, grüßte Mama Kaninchen freundlich.
»Nichts ist schön, nichts ist gut!«, schimpfte der Osterhase ärgerlich und starrte auf den Boden.
Tapsi sah das Unglück sofort. Auf dem Boden lagen zerbrochene bunte Eierschalen.
»Der Osterhase hat seine Eier kaputt gemacht«, kicherte er hinter hochgehaltenen Pfoten.
»Die armen Kinder! Sie haben sich doch so auf diesen Tag gefreut«, stöhnte der Osterhase. »Aber der Fuchs hat mir aufgelauert und versucht, mich zu fangen. Ich habe Haken geschlagen und ihn
abgehängt, aber die Eier sind dabei zerbrochen!«
»Sei nicht traurig«, tröstete Tapsi den Osterhasen. Vorsichtig rollte er sein eigenes buntes Ei zwischen den Hinterläufen hervor.
»Was ist denn das?« Der Osterhase staunte nicht schlecht, als er plötzlich das bunte Ei vor sich liegen sah.
»Dieses Jahr bringt Familie Kaninchen die Ostereier zu den Kindern«, erklärte Tapsi und seine Barthaare zitterten.
»Aber ihr seid keine Osterhasen!«
»Nein, aber Osterkaninchen!«, erklärte Blümchen.
»Am heutigen Tag sind wir alle Osterhasen«, meinte Stummel und sein Bruder Mümmel trommelte zustimmend mit den Hinterläufen.
»Na gut«, der Osterhase nickte. »Warum auch nicht.«
Tapsi nickte stolz. »Und jetzt verstecken wir sie dort hinten unter den Büschen, wie es unter Osterhasen üblich ist!«
Und wenn ihr diese Geschichte gelesen habt, wisst ihr auch, wo ihr suchen müsst!
Frohe Ostern!
Hallo, Freunde!
Hier kommen jedes Jahr neue Geschichten dazu. Die Liste ist inzwischen schon recht lang. Wenn ihr daher die passenden Downloads nicht mehr findet, so sind sie nicht für immer verloren.
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Viel Spass beim Vorlesen und selbst Lesen!
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Dezember: Der perfekte Tannenbaum
November: Heinar und die Dunkelelfe
Oktober: Das Geburtstagsgeschenk
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